Vielfalt des Bistums

Von Hannoversch Münden im Süden bis Cuxhaven an der Nordsee erstreckt sich das Bistum Hildesheim. Von der Fläche her ist es das drittgrößte in Deutschland. Eine unglaubliche landschaftliche und kulturelle Vielfalt einerseits, viele Herausforderungen für die gut 600 000 katholischen Christen, die bis auf wenige Ausnahmen die Minderheit bilden. Ein Streifzug.

Wenn es im Eichsfeld eine rustikales Mollenfrühstück gibt, dann wird auch schon mal großzügig vom Schweinebäckchen abgeschnitten. In Hannover ist es völlig normal, den Schnaps ins Bier zu gießen. Und in Cuxhaven gehört der Labskaus auf jede Speisekarte, eine auch auf den zweiten Blick undefinierbare Masse aus durchgedrehten Zutaten wie Rindfleisch, Roten Beten und Matjes. Kulinarische Absonderlichkeiten, die den Gast erstaunen mögen, für den Einheimischen aber so selbstverständlich sind, dass er sich über erstaunte Blicke allenfalls wundern kann.

30.000 Quadratkilometer umfasst das Bistum. Das entspricht so ziemlich genau der Größe Belgiens. Wer die unterschiedlichsten Landschaften genauer entdecken möchte, müsste schon mehr als nur einen Urlaub einplanen, um diese Vielfalt zu entdecken. Die bekanntesten dieser Landschaften – der Harz, die Lüneburger Heide und die Nordseeküste vor allem – zählen ohnehin zu den beliebtesten Touristenzielen.

Altes Land Yorker Rathaus

Altes Land Yorker Rathaus

Bückeburg Schloss

Bückeburg Schloss

Bremerhaven

Bremerhaven

Mühle Gifhorn

Mühle in Gifhorn

Holzkirche Gifhorn

Holzkirche in Gifhorn

Steinbrücke Hannover-Muenden

Steinbrücke in Hannover-Muenden

Juleum Helmstedt

Juleum in Helmstedt

Kloster Drübeck

Kloster Drübeck

Kloster Wöltingerode

Kloster Wöltingerode

Lauenburg

Lauenburg

Lüneburger Heide

Lüneburger Heide

Schloss Wolfsburg

Schloss Wolfsburg

Steinhude

Steinhude

Verden

Verden

Wolfenbüttel

Wolfenbüttel

Zehntausende Menschen lockt es im Sommer bei schönem Wetter am Wochenende ans Steinhuder Meer vor den Toren Hannovers. Das Alte Land an der Elbe zwischen Stade und Hamburg, größtes zusammenhängendes Obstanbaugebiet Europas, ist Anziehungspunkt vor allem im Frühjahr, wenn hier Millionen Apfel- und Kirschbäume blühen. Das Teufelsmoor bei Bremen, die dichten Laubwälder des Sollings zwischen Holzminden und Göttingen, die abgelegenen Rundlingsdörfer des Wendlandes – auch sie prägen das Bild mit all seinen Facetten.

Zu den beliebtesten Radwanderwegen in Deutschland gehört die Tour entlang der Weser von Hannoversch Münden bis zur Mündung bei Bremerhaven in die Nordsee. Flüsse wie die Weser spielten in der Geschichte schon immer eine wichtige Rolle. An ihren Ufern entstanden wichtige Siedlungen, auf dem Wasser wurden die Handelswaren transportiert, Brückenköpfe versprachen Einnahmen und Wohlstand durch Zollzahlungen. Von hier aus wurden die Wälder gerodet und das Land urbar gemacht.

Mönche machten – auch entlang der Weser – ihre Klöster zu wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Stützpunkten. Wer sich die 450 Kilometer lange Flussstrecke vornimmt, die übrigens im Süden und im Westen weitestgehend die Grenze des Bistums bildet, begegnet immer wieder diesen religiösen Zentren. Bursfelde mit seiner romanischen Basilika gehört zu den bekanntesten, später folgen Lippoldsberg und Helmarshausen (Entstehungsort des berühmten Evangeliars Heinrichs des Löwen), die ehemalige Benediktinerabtei Corvey, die eine wichtige Rolle bei der Christianisierung der Sachsen spielte (und seit einigen Wochen zum Weltkulturerbe gehört), später Fischbeck bei Hameln und Möllenbeck bei Rinteln. Rinteln selbst, fast 200 Jahre lang immerhin Universitätsstadt (bis 1810), spielt über das Weserbergland hinaus eine wichtige Rolle, die mit dem Jesuiten Friedrich von Spee in Verbindung zu bringen ist: Der veröffentlichte in der örtlichen Universitätsdruckerei seine „Cautio Criminalis“, die entscheidend dazu beitrug, den Hexenwahn in Deutschland zu beenden.

Wenige Kilometer flussabwärts fließt die Weser dann durch Minden, früher Sitz eines eigenen Bistums. Wer vor dem Westwerk des Doms steht, fühlt sich für einen Moment nach Hildesheim versetzt, so gleicht sich der Blick. Das Bistum selbst existiert 1821 nicht mehr nach einer Neugliederung der damaligen Diözesen Preußens und Hannovers durch den Papst, die östlich der Weser gelegenen Teile gehören seit dem zu Hildesheim.

Lange folgt die Weser dann gemächlich ihrem Weg durch weite Wiesen und Felder der norddeutschen Tiefebene. Bei Verden, der bekannten Reiterstadt, wird es dann kirchengeschichtlich noch einmal interessant: Auch hier existierte bis zur Reformation ein eigenes Bistum, gegründet um 800 im Zuge der Sachsenmission durch Karl den Großen. Anmerkung am Rande: Ein Brunnen am Verdener Domherrenhaus erinnert an den legendären Seeräuber Störtebeker. Der hatte der Legende nach unmittelbar vor seiner Hinrichtung auf dem Hamburger Grasmarkt im Jahr 1401 der Stadt an der Weser eine besondere Spende hinterlassen, weil er dort einmal Unterschlupf gefunden hatte: Jedes Jahr am Montag nach Laetare – dem Sonntag nach Ostern – sollen auf dem Marktplatz Brot und Heringe an Arme, Geistliche und Beamte verteilt werden. Dieser Brauch wird noch alljährlich unter großer Beteiligung aufrechterhalten.

Bremen selbst, die größte Stadt an der Weser, gehört mit Ausnahme von Bremen-Nord zum Bistum Osnabrück. Erst die junge Stadt Bremerhaven wird wieder von den Bistumsgrenzen umzogen. Von hier aus traten zwischen 1830 und 1974 mehr als sieben Millionen Auswanderer die Schiffspassage in die USA, nach Kanada und Südamerika an. Dort, wo sie Europa verließen und sich einst die Lagerhallen befanden, steht seit 2005 das Deutsche Auswandererhaus.

Nicht nur am Beispiel der Weser lassen sich zahlreiche Geschichten über das Bistum Hildesheim erzählen. Mal mehr, mal weniger sind es auch die anderen Regionen, die auf unterschiedliche Weise ihre Bezüge haben – unübersehbar wie die traditionell katholischen Dörfer im Eichsfeld mit ihren wichtigen Wallfahrtsorten Germershausen und Höherberg oder die Stiftsdörfer rund um Hildesheim. Aber auch unerwartet wie beim früheren Konzentrationslager Bergen Belsen mitten in der Lüneburger Heide. Seit vielen Jahren treffen sich hier katholische Christen im Rahmen der jährlichen Kreuzwoche, um an die mehr als 50.000 Menschen im Gebet zu erinnern, die hier ermordet wurden oder verhungerten. Und dass heute der benachbarte Friedhof sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter mehr im Blick ist als in früheren Jahren, liegt auch daran, dass regelmäßig vor Ostern Ziel von Pilgern ist, die sich zu Fuß auf den Weg machen und einem so genannten Hungermarsch in den letzten Kriegstagen von Hannover nach Bergen Belsen folgen.

Prägend für das Bistum sind aber auch seine Städte. Zwei Beispiele: Hildesheim, die Bischofsstadt und damit Zentrum des 1200 Jahre alten Bistums. Hier hat sich aus der Ansiedlung um die erste Marienkapelle, gestiftet 815 von Ludwig dem Frommen, eine Stadt entwickelt. Mit seinen Kunstschätzen, die eng vor allem mit seinen früheren Bischöfen Bernward und Godehard verbunden sind, zählt der 2014 sanierte Dom neben der Michaeliskirche zu den frühen Einträgen auf der heute recht langen Liste des Weltkulturerbes.

Für die katholische Kirche in Norddeutschland spielt Hannover eine wichtige Rolle. Die Basilika St. Clemens, mit deren Bau vor 300 Jahren begonnen wurde, war das erste katholische Gotteshaus, das nach der Reformation errichtet wurde. Selbst der damalige Papst, Clemens XI., machte sich für diesen Stützpunkt katholischen Glaubens in der Diaspora stark, schrieb Bettelbriefe in alle Welt und stellte damit maßgeblich die Finanzierung sicher. Für zwei Jahre, von 1677 bis 1679, hatte Bischof Niels Stensen seinen Sitz als Apostolischer Vikar des Nordens in Hannover. Seine Verantwortung für den die versprengen Reste katholischer Christen jener Zeit reichte weit bis nach Skandinavien. Stensen sorgte unter anderem dafür, dass Celle 1678 einen eigenen Seelsorger bekam. Bis vor die Hamburgs reichte damals dessen Gemeinde…

In Celle, aber auch in anderen Residenzstädten des 17. Und 18. Jahrhunderts wie Braunschweig und Wolfenbüttel, waren es häufig Künstler, Diplomaten und Kaufleute aus Frankreich und Italien, für die nach der Reformation erstmals wieder Gottesdienst gefeiert wurde.

In Wolfenbüttel beispielsweise erlaubte Herzog Anton-Ulrich 1707 mit einem Federstrich wieder die öffentliche Feier der katholischen Messe. Lapidar beschied er: „Es sollen in Wolfenbuttel die Catholische burger eben die freiheit haben, die in Braunschweig die Reformierten genießen“. Ähnliche Entwicklungen finden sich andernorts, doch müssen die Katholiken ihre neuen Kirchen entweder hinter Pferdeställen verstecken (Braunschweig) oder ohne Turm wie ein normales Wohnhaus bauen (Göttingen).

In Wolfsburg dagegen planten die nationalsozialistischen Machthaber 1938 die „Stadt des KdF-Wagens“ als eine Stadt ohne Kirchen. Eine Stadt ohne Gottesdienst und Seelsorge allerdings wurde sie auch schon damals nicht: Italienischen Arbeitern wurde der Gottesdienst erlaubt – und so nutzten auch deutsche Katholiken ihre kleine Kapelle. Trotz aller Schikanen. Nach 1945 wurde die Stadt in Wolfsburg unbenannt. Pate war das gleichnamige, bereits urkundlich 1135 erwähnte Wasserschloss. Es gilt heute als das am weitesten östlich gelegene Beispiel der Weser-Renaissance.

Noch einmal zu einem Papst Clemens, einem Vorgänger des Förderers der hannoverschen Basilika: Clemens II. wurde 1005 in Hornburg bei Wolfenbüttel geboren und übte sein Pontifikat für zehn Monate in einer kirchenpolitisch ungemein verzwickten Lage aus. Immerhin löste er drei gleichzeitig amtierende Päpste ab, der Verkauf von Kirchenämtern war an der Tagesordnung. Weil er zugleich als Bischof von Bamberg materiell von Rom unabhängig war, konnte Clemens II. zahlreiche Reformen einleiten, die das Ansehen der Kirche jener Zeit verbesserten. Sein Grab in Bamberg ist das einzig erhaltene Papstgrab nördlich der Alpen, in Hornberg erinnert ein Zimmer im Handwerkermuseum an den berühmtesten Sohn der Stadt.

Wer das Bistum Hildesheim als Pilger entdecken möchte, hat dazu vielfältige Gelegenheit. Über sein Gebiet führen Zubringerwege auf Weg nach Santiago de Compostela (unter anderem durch die Lüneburger Heide), relativ neu sind der Sigwardsweg durch das Schaumburger Land oder der inzwischen sehr beliebte Pilgerweg vom Kloster Loccum ins thüringische Volkenroda, wo der Christuspavillion nach der EXPO 2000 einen neuen Standort gefunden hat. Gerade eröffnet wurde speziell für Radfahrer ein Angebot, der Mönchsweg: er startet in Bremen und folgt der Route der ersten Missionare vor fast 1000 Jahren durch den Norden Deutschlands.

Nicht nur die Landschaften tragen zur Vielfalt des Bistums bei – es sind vor allem immer die Katholiken gewesen, die es bis heute mitgestalten. Und das waren in den vergangenen Jahrhunderten in den seltenen Fällen die Alteingesessenen, sondern fast immer die Zugezogenen, die als Landwirtschaftshelfer, Handwerker oder Industriearbeiter kamen. Ein punktueller Blick in die Geschichte: Seit dem 12. Jahrhundert wird im Schaumburger Land der hochwertige Obernkirchener Sandstein gebrochen. Verarbeitet wurde er unter anderem im Bremer Rathaus, in den Domen zu Köln und Aachen, in der Königsberger Börse, im Weißen Haus in Washington und im Katharinenpalast bei Sankt Petersburg. Dass die harte Arbeit in den Steinbrüchen halbwegs anständig bezahlt wurde, sprach sich im 19. Jahrhundert bis nach Italien herum. Die ersten Arbeiter kamen, ließen ihre Familien nachkommen. Zahlreiche Mitglieder der heutigen Gemeinde haben italienische Wurzeln.

Katholiken aus dem Rheinland zog es in den Norden Deutschlands, Erntehelfer aus Polen ließen sich im Wendland nieder. Um sie seelsorglich zu begleiten, entstanden Gemeinden, wurden Kirchen gebaut. Ein gravierender Einschnitt für das Bistum waren die vielen katholischen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst vor allem in den ländlichen Gebieten untergebracht werden mussten. Es folgten Arbeiter aus Italien und Griechenland, Spanien und Portugal in den Jahren des Wirtschaftsbooms. Sie alle hofften, auch in der Kirche ein Stück neue Heimat zu finden. Heute haben katholische Christen in den Gemeinden des Bistums ihre Wurzeln in aller Welt.

Eine gewaltige Herausforderung, der sich das Bistum stellen musste und muss. Auch sie hat das katholische Leben zwischen Hannoversch Münden und Cuxhaven vielfältig gemacht: durch Gemeinden und Menschen, die Verantwortung übernommen haben und heute übernehmen. Ehrenamtliche Männer und Frauen kümmern sich in Suppenküchen und Kleiderkammern um Hilfsbedürftige, besuchen Kranke und Alte, geben Sprachunterricht. Längst haben sie mehr als ihren eigenen Kirchturm im Blick, engagieren sich für die Partnerländer Bolivien oder Brasilien, sammeln alte Handys für einen guten Zweck oder starten zum Spendenlauf für Flüchtlinge. Katholiken sind mit dabei, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht, mischen sich in die Frage nach gerechter Entlohnung und menschenwürdiger Pflege ein. Und sie sprechen – das zuletzt, weil doch eigentlich ganz selbstverständlich – über ihren Glauben und geben ihn an die Kinder weiter.

Unser Bistum: 
Bistumskarte
Bistum Hildeshim