Malteser versorgen Flüchtlinge in Friedland: Wichtiger als Mitgefühl ist professionelle Arbeit

Ein Dutzend Betten, eine Handvoll Krankenschwestern, Ärzte mit festen Sprechstunden. In Friedland bei Göttingen betreut der Malteser Hilfsdienst Menschen mit Husten oder amputierten Beinen. Deutschland diskutiert über Flüchtlinge. Im Haus 46 des Aufnahmelagers wird ihnen geholfen.

Sangar B. ist 47 Jahre alt. Seine Vergangenheit sind ein paar Fotos auf dem Handy. Seine Gegenwart besteht aus einem spartanisch eingerichteten Krankenzimmer. Seine Zukunft steht in den Sternen. Vor drei Jahren fuhr der syrische Kurde mit dem Jeep bei Mossul auf eine Mine. Seitdem ist der Captain gelähmt und sitzt im Rollstuhl. In seiner Heimat kümmerte er sich vor allem um Flüchtlingskinder, um Menschen, denen der Krieg die Beine zerfetzt oder das Augenlicht genommen hat. Als die ISIS, die islamischen Kämpfer, im Internet mit Foto und Adresse zu seiner Ermordung aufriefen, flüchtete er. Frau und drei Kinder sind zurückgeblieben.

Malteser leisten medizinische Betreuung im Erstaufnahmelager Friedland

Zwischen Notfallversorgung und ambulanter Sprechstunde. Die Malteser leisten die medizinische Betreuung im Erstaufnahmelager Friedland.

Fluechtlinge vor Malteser Krankenstation

Gleich nach der Essensausgabe versammeln sich die Patienten vor Haus 46 – auch wenn erst in einer Stunde geöffnet wird. 

Sangar B. aus Syrien

Zwei Schicksale in Friedland von tausenden: Sangar B. aus Syrien setzte sich auch nach dem Bombenanschlag für Flüchtlinge ein. Seine Geschichte erzählt er einem jungen Landsmann.

Malteser-Geschaeftsstellenleiter Juergen Hublitz am Bett einer Frau

Malteser-Geschäftsstellenleiter Jürgen Hublitz am Bett einer Frau aus dem Kaukasus, die wegen Kehlkopfkrebs stationär versorgt wird.

Längst reichen die Betten in den Baracken nicht mehr

Sangar B. ist einer von den namenlosen Flüchtlingen aus Syrien, aus Afghanistan und Eritrea. Gestrandet im Aufnahmelager Friedland. Abends stehen Busse vor den Toren mit neuen gestrandeten Menschen. Sie müssen aufgenommen werden – egal wie.  Längst sind auch die Turnhallen in der Umgebung überbelegt, werden Feldbetten in Zelten aufgebaut. Sind es 3500 Flüchtlinge? Oder sind es wieder ein paar hundert mehr? Ihre genaue Zahl spielt keine Rolle, sie ist morgen nicht mehr wert als eine Randnotiz in den Unterlagen der Behörden. 

Jürgen Hublitz kann mit exakten Angaben auch nicht so recht weiterhelfen. Aber die Zahlen, die er für seinen Bereich nennt, sprechen Bände: Im ersten Quartal 2015 – also von Januar bis März – hat die Krankenstation der Malteser 2800 Patientengespräche geführt, bei Ohrenschmerzen oder Magenverstimmungen Medikamente verschrieben oder für traumatisierte Flüchtlinge den Kontakt zu Fachärzten vermittelt. Allein im Juli stieg die Zahl auf 3800. 

Wer den Dienststellenleiter der Malteser in Friedland ans Telefon bekommen will, muss viel Geduld haben: „Ich kann jetzt nicht sprechen. Vor der Tür stehen die Menschen in langer Schlange“, sagt er kurz angebunden. Anstehen gehört in Friedland zum Alltag. Wer eben vor der Essensausgabe gewartet hat, reiht sich jetzt ein vor der Krankenstation. Sprechstunde ist von 14 bis 17 Uhr, steht auf dem Zettel an der Eingangstür, auch in arabischen Schriftzeichen. Aber schon um halb eins drängen sich die Ersten, warten auf einen Termin bei den Ärzten, die hier im Wechsel die Flüchtlinge untersuchen.

Friedland, das kleine Dorf, ist den Ausnahmezustand gewohnt. Heimkehrende Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, später Bootsflüchtlinge aus Vietnam, Spätaussiedler und Russlanddeutsche  – sie alle hat man hier im Ort gesehen. Erst vor ein paar Jahren schienen die Tage des Aufnahmelagers gezählt zu sein. Und jetzt wieder ein Ansturm – entwurzelte Menschen, die durch Terror, Krieg und Elend aus der Heimat vertrieben worden sind. Zurzeit kommen auf jeden heimischen Bewohner Friedlands rund drei Flüchtlinge. Woanders wäre die Situation möglicherweise längst eskaliert. Hier kümmert man sich in den Gärten der Einfamilienhäuser um die Beete und Hecken und nimmt allenfalls erstaunt zur Kenntnis, dass jemand ohne offensichtlichen Flüchtlingsstatus durch die Straße kommt. Fast verwundert wird der Besucher dann gegrüßt…

 

Vor dem Mitleid steht professionelle Hilfe

Zwischenmenschliche Kontakte sind in Friedland die Ausnahme. Deutsche und Flüchtlinge leben in engster Nachbarschaft, ohne Notiz voneinander zu nehmen – nicht im guten, aber zum Glück auch nicht im schlechten Sinn. Die Flüchtlinge bleiben je nach Herkunftsland unter sich. Allenfalls wird abhängig von der zahlenmäßigen Präsenz in den Aufenthaltsräumen die Satellitenschüssel so gedreht, dass der Fernsehempfang aus Syrien oder Afghanistan möglich ist. 

In den Kranken- und Behandlungsräumen der Malteser steht die professionelle Behandlung über dem Mitleid vor dem persönlichen Schicksal. „Wir machen unsere Arbeit wie in jeder anderen Praxis“, sagt Jürgen Hublitz. „Die meisten Patienten sehen wir nur ein paar Mal, bis sie wieder gesund sind.“ Zeit für große Anteilnahme bleibt ohnehin kaum. 

Allenfalls von den Flüchtlingen, die längere Zeit in den Krankenzimmern untergebracht sind, werden Schicksale bekannt. Wie das der jungen Afghanin, die wegen unerklärlicher Magenschmerzen behandelt wurde. Erst nach Wochen stellte sich heraus: Die Probleme waren psychisch bedingt. Jürgen Hublitz: „Sie musste mit ansehen, wie ihr Mann ermordet und ihre drei Kinder entführt wurden.“

Auch der querschnittgelähmte kurdische Syrer Sangar B. ist Dauergast auf der Krankenstation der Malteser in Friedland. Sein einziger Wunsch: „Ich möchte, dass meine Familie endlich nach Deutschland kommt und nicht mehr länger in Gefahr ist. Den Deutschen bin ich so dankbar, dass ich hier in Sicherheit bin. Ich selbst kann mich nicht mehr revanchieren. Aber meine Kinder werden alles tun, was in ihrer Kraft steht, um diese Dankbarkeit zu zeigen.“

Unser Bistum: 
Friedland, Niedersachsen
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