Ein Comic mit Tiefgang – Vor 1000 Jahren wurde die Bernwardtür gegossen

Im Jahr 1015 ließ Bischof Bernward eine zweiflügelige Bronzetür mit szenischen Bildern aus der Bibel für den Hildesheimer Dom gießen. Aus Mainz kannte Bernward die große Bronzetür des Doms und Türen mit Reliefbildern hatte er in Rom gesehen. Für den Bibelwissenschaftler Dr. Christian Schramm sind die Bilder eine wahre Fundgrube.

Wenn ich vor der Bernwardtür im Hildesheimer Dom stehe, bin ich jedes Mal tief beeindruckt: die imposante Größe, das enorme Gewicht, das man den beiden bronzenen Türflügeln ansieht, die plastisch greifbaren Figuren, die mir entgegentreten, die liebevolle Detailliertheit … Nicht ohne Grund genießt dieses Kunstwerk Weltruhm.

Christian Schramm vor der Bernwardstür

Die Bernwardtür fasziniert Christian Schramm. Auch nach 1000 Jahren ist ihre Botschaft immer noch aktuell. Immer wieder Neue kann man in den filigran herausgearbeiteten Bildern entdecken. 

Christian Schramm vor der Bernwardstür

„Man kann nur staunen, was Bischof Bernward da vor tausend Jahren geschaffen hat, um Menschen die Bibel zu erklären“, sagt Christian Schramm.

Schöpfungsakt auf der Bernwardstür

Das erste Bild der Bernwardtür zeigt den Schöpfergott, der sich über Adam beugt und ihn aufrichtet.

Jesus widmet sich Maria Magdalena

Das Bild gegenüber bildet den Abschluss des Bilderzyklus: Der auferstandene Christus, der „neue“ Adam, wendet sich wieder einem Menschen zu – Maria Magdalena.

Mich fasziniert die Bernwardtür besonders auch als Bibelwissenschaftler. Sie vereint auf überschaubarem Raum zentrale biblische Erzählungen. Doch werden hier nicht einfach einzelne biblische Geschichten illustriert. Vielmehr entsteht durch die Auswahl, die konkrete Umsetzung inklusive Pointierung und vor allem die Anordnung und Zusammenstellung etwas Neues, Eigenes, Einmaliges. Ich kann die Bernwardtür wie eine Art biblischen „Comicstrip in 3-D“ lesen, der in zweimal acht Szenen die Heilsgeschichte dramatisch-dynamisch in konzentrierter Kurzform erzählt – aus christlicher Perspektive, versteht sich. Die Bernwardtür ist ein „Katechese-Portal“, sie ist Bronze gewordene Glaubensverkündigung, die manchmal über die biblischen Vorgaben hinausgeht.

 

Budermord als Symbol für Krieg und Flucht

Ich erhebe den Blick und sehe den Schöpfergott, der sich liebevoll zu seinem Geschöpf „Mensch“ hinunterbeugt und aufrichtet. Dann geht es Schlag auf Schlag: von Adam und Eva über die Vertreibung aus dem Paradies bis hin zu Kain und Abel (Opfer, Brudermord). Der linke Türflügel ist als Abstiegsgeschichte gestaltet und ganz unten werde ich, mit gesenktem Blick (darin Kain ähnlich), Zeuge des Brudermords. Ein Mensch schlägt seinen Mitmenschen zu Boden. „Wo ist dein Bruder?!“ Und: „Das Blut deines Bruders …“ – Die Bernwardtür konfrontiert mich am Tiefpunkt mit einer zeitlosen Anfrage, gerade auch heute angesichts von Kriegswirren und Flüchtlingsnot. Damit endet das Alte Testament – nicht in der Bibel natürlich, aber auf der Tür. 

Wenn man ganz unten ist, dann kann es nur noch aufwärts gehen. Nach diesem Motto nimmt uns der rechte Türflügel mit hinein in eine hoffnungsvolle Aufstiegsgeschichte: Von der Verkündigung an Maria und Jesu Geburt über Prozess und Kreuz bis hin zum leeren Grab und dem Auferstandenen. Jetzt habe ich den Blick wieder erhoben und habe den Auferstandenen vor Augen, wie er sich zärtlich Maria aus Magdala zuneigt. Darin gleicht er dem Schöpfergott links daneben. Und wenn ich diagonal hin und her springe: Dort (links unten) der Mensch, der seinen Mitmenschen, seinen Bruder, zu Boden streckt, hier (rechts oben) der Auferstandene, der den Menschen, Maria, aufrichtet. Es besteht noch Hoffnung, das Heil ist nahe, ja, es ist da.

 

Vorbereitung auf die Eucharistie

Das Bildprogramm der Bernwardtür schafft durch die Bezüge der Bilder aufeinander (parallel und diagonal) einen Tiefensinn, der das Einzelne übersteigt. Ich kann lange vor der Tür stehen und in die einzelnen Szenen sowie in das Gesamtkunstwerk eintauchen. Und wenn es dann heißt weiterzugehen, dann kann ich – nach dieser Glaubensunterweisung durch die Bernwardtür – erhobenen Hauptes in den Kirchenraum des Domes eintreten. Hier feiern wir in der Eucharistie das Geheimnis des Glaubens, des Heiles, der Erlösung, der Auferstehung – so hält der Raum, was sein Portal verspricht.

Unser Bistum: 
Hildesheim, Niedersachsen